Novichok
Die ganze Wahrheit über eine Ost-/Westromanze In diesen Tagen war es neblig und trüb in London. Wie so oft. Aber verglichen mit der Stimmung von Theresa May, der britischen Premierministerin, könnte man die Wetterlage hochsommerlich warm und sonnig nennen. Der Brexit raubte ihr den letzten Nerv und die Lage im Land wurde zusehends bedrohlich für sie und ihre Regierung. Ein Ausweg war nicht in Sicht. Philip, ihr Gatte, der sie immer zärtlich, aber etwas zweideutig „My little May Bee“ nannte, war an diesem Abend in seinem Club und sie hatte das dringende Bedürfnis, mit jemandem zu reden. Obwohl sie wusste, dass er sich nur wieder über sie lustig machen würde, wählte sie die Nummer von Donald. Immerhin war er der einzige ihrer Führerkollegen, der den Brexit schon immer für eine tolle Idee gehalten hat. Trump war kurz angebunden. Erstens hatte er nie große Lust, sich mit Frauen abseits seines Beuteschemas zu unterhalten, zum anderen war er gerade in einem Meeting mit Kumpels von der NRA um darüber zu beraten, was zu tun sei, wenn die Schwachköpfe im Nahen Osten Strafzölle auf US-Waffen erheben wollen. Theresa gelang es trotzdem, ihm ihr Leid zu klagen. „So sad“ schallte es aus der Leitung „so sad!“. Seinen Ratschlag, einen Minister nach dem anderen zu entlassen, wollte sich Theresa nochmal durch den Kopf gehen lassen. „Aber wenn Du etwas wirklich Spektakuläres vorhast, rede doch mal mit Wladimir. Der hat in solchen Dingen die besten Ideen.“ Wladimir! Da hätte sie auch gleich selbst draufkommen können. Von Putin kommt in solchen Situationen immer der beste Input. Sie suchte nach seiner Nummer aber noch bevor sie ihn anwählen konnte, klingelte das Telefon. „Dobryy vecher, Podruga, Du willst mich sprechen!“ Teresa wunderte sich nicht, sie war sehr wohl vertraut mit der Effizienz des russischen Geheimdienstes SWR. „Theresa, das solltest Du doch wissen: wenn Du in Schwierigkeiten steckst, brauchst Du einen gefährlichen, am besten ausländischen Feind. Der macht was Böses, Du gehst mit aller Härte dagegen vor, Ihr bekriegt Euch eine Zeitlang und schon bist Du fein raus.“ Das klang überzeugend. „Wladimir, Schatz“ flötete Theresa „meine ausländischen Feinde hab ich schon alle aufgebraucht und die Flüchtlingssache funktioniert auch nicht mehr so richtig. Möchtest Du mir den Feind machen?“ Theresa ging aufs Ganze. „Gerne, Theresa. Bei solchen Sachen bin ich immer gern dabei, wie Du weißt. Aber, das Ganze muss sich schon auch für mich lohnen. Vyigrat' vyigrat' – win win, you know?“ Die erste Idee, angelehnt an die Aktionen auf der Krim London zu besetzen, weil da eh schon so viele russische Millionäre leben, erschien Theresa dann allerdings doch zu abwegig. Den Gedanken der Premierministerin, die russischen Trollfabriken und Bots aufzudecken, lehnte wiederum Putin mit dem Hinweis ab, dass sie wohl gerade beim Brexit auch davon profitiert hätte und dass man das Instrument nicht verbrennen dürfe. Aber Putin wäre nicht der KGB-Offizier, der er nun mal war, wenn ihm nicht doch noch eine gute Lösung eingefallen wäre. Eine Agentengeschichte sollte es sein. Sowas ist immer ein wenig mystisch, die Leute fangen immer sofort an zu spekulieren und sich an alles zu erinnern, was sie in einschlägigen Filmen gesehen hatten. Es braucht immer einen Helden und von Anfang an ist klar – die eigentliche Wahrheit wird dem gewöhnlichen Volk für immer verborgen bleiben. Und weil es eben eine Agentengeschichte ist, akzeptiert das auch jeder. Und man kann so eine Geschichte über viele Jahre immer wieder nutzen, egal für welche Interessen. Theresa war begeistert. Man brauchte nur noch ein Opfer. Jemand der auf beiden Seiten unten durch ist, einen Doppelagenten am besten. Und der war auch schnell gefunden, ein Kerl namens Skripal. Theresa warf ein, dass in der Vergangenheit eine rätselhafte Vergiftung immer eine ganz besonders effektvolle öffentliche Wirkung hatte und Wladimir schlug vor Novichok zu verwenden. Da ließe sich leicht eine Spur nach Russland legen, wo das Zeug ja entwickelt wurde, aber zugleich ist das Gift inzwischen so gestreut worden, dass sich die Herkunft niemals beweisen ließe. Beide waren nun restlos begeistert von der Idee. „Du musst halt richtig hart reagieren. Am besten so, dass die Dummköpfe von NATO und EU gleich mit auf den Zug springen. Wenn ich die dann entlarven kann, hab ich auch was davon.“ Putin geriet ins Schwärmen. „Macht Ihr das selber oder sollen wir jemand vorbeischicken?“ „Das muss ich mir nochmal durch den Kopf gehen lassen“ meinte Theresa noch, als sie das Türschloss hörte und Philip durch den Flur torkelte: „My Darling May Bee we will have a beautiful night!“ Teresa beendete das Gespräch mit Wladimir und die Dinge nahmen ihren Lauf. |