Publikum in Corona-Zeiten
Die Tage mal war ich im Fernsehen. Ich hätte es nicht gemerkt, hätte ich nicht Nachrichten und Anrufe von hunderten meiner Fans und von meinem Management erhalten. Man hätte mich eben gesehen und ich wäre jetzt wohl auf dem Weg zum TV-Star. Ich konnte mir das nicht erklären. Zumal ich gar keine Fans und kein Management habe, aber da habe ich eben ein wenig geflunkert. Weil ums Flunkern geht es bei der Angelegenheit. Tatsächlich haben mich ein paar Freundinnen angeschrieben und Stein und Bein geschworen, dass sie mich gesehen haben. Also habe ich mir in der Mediathek des BR die Sendung rausgesucht und mich auf Spurensuche gemacht. Eine mir völlig unbekannte Grundschullehrerin hat lustige Begebenheiten aus ihrem Leben preisgegeben und den Geschichten mit vollem Einsatz ihrer Gesichtsmuskulatur und anderer Körperteile Nachdruck verliehen. Das ganze live vor Publikum in einem Etablissement namens „Lustspielhaus“. Nach langen Tagen der häuslichen Isolation und hochnotpeinlichem Mindestabstandsspießrutenlaufens in den Hygieneabteilungen der örtlichen Drogeriemärkte war das ein befremdliches Erlebnis, das vage Erinnerungen an längst vergangene Zeiten wachrief. Es dauerte nicht lange bis die Grundschullehrerin einen mir eher peinlichen Witz über das Geräusch eines auf dem Boden aufschlagenden übergewichtigen Schülers nach einem missglückten Bocksprung machte und die Kamera ein begeistertes Gesicht aus dem Publikum zeigte – mein Gesicht! Da war ich also. Mitten im Publikum einer Veranstaltung, bei der ich nie war. Begeistert über einen Witz, den ich eher so naja fand. Und abertausende meiner Fans haben es gesehen. Dabei weiß ich noch genau, wo ich da war, als diese Aufnahme von mir entstanden ist. Das war in der Vorstellung eines von mir hochgeschätzten jungen niederbayrischen Kabarettisten und wahrscheinlich hat er da gerade was über Hehna erzählt oder über seine Oma. Jetzt bin ich also im Publikum der lustigen Grundschullehrerin gelandet, die ich auf diesem Weg, dem BR sei Dank, auch mal kennenlernen durfte. In Corona-Zeiten ist man ja froh, wenn man überhaupt mal wo Publikum sein darf. Die Idee finde ich jetzt ganz reizvoll – der BR nimmt Künstler alleine auf der Bühne auf und schneidet Publikum aus vergangenen Veranstaltungen dazu. Das geht mir nämlich bei vielen Wohnzimmerlesungen und -konzerten ab. Ohne die Reaktion eines mich umgebenden Publikums weiß ich nämlich manchmal gar nicht, an welchen Stellen ich lachen oder begeistert sein soll. Da sind Kacheln mit Bildern von Leuten, die auf ihre Bildschirme starren auch nicht hilfreich. Trotz allem bin ich dankbar für all die musikalischen und literarischen Auftritte von Künstler:innen, die mir im Lauf der Jahre ans Herz gewachsen sind. Egal ob sie aus ihren Wohnzimmern, von ihren Balkonen, aus ihren Gärten, Studios oder von leeren Bühnen kommen. Aber ich sehne mich nach den Tagen, an denen es wieder möglich ist, sie zusammen mit anderen lebendigen Menschen auf echten Bühnen zu erleben. Bis dahin darf der BR mich irgendwo als Publikum reinschneiden. Meine Millionen Fans wird es freuen. |